Üff: "Contentious politics": soziale Bewegungen, Protest und Gewalt im langen 19. jhd.

Di 16-18 Uhr, Raum: GABF 04/609, Beginn: 12.10.2010, Dozent: Jun.-Prof. Dr. Fabian Lemmes

Die Aktualität von Globalisierung und Wirtschaftskrise liefert weltweit zahlreiche Beispiele für gewaltsames und gewaltloses Protestverhalten – von den Lebensmittelprotesten in Afrika, Asien, Süd- und Mittelamerika (allen voran in Haiti 2008) über die Tätigkeit transnationaler NGOs und die Aktionen von Globalisierungsgegnern bzw. Altermondialisten bis zu den jüngsten Massenprotesten gegen die Sparpläne der griechischen Regierung. Diese aktuellen Entwicklungen sind Gegenstand der sozial- und politikwissenschaftlichen Forschung; sie werfen aber auch die Frage auf, welche Ansätze und Ergebnisse die Geschichtswissenschaft zum Thema Protest und soziale Bewegungen vorgelegt hat.
Ziel dieser Übung ist es, sowohl klassische als auch neuere theoretische Ansätze der historischen Bewegungs- und Protestforschung vorzustellen und anhand von Beispielen aus 149 der europäischen Geschichte vom ausgehenden 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert zu diskutieren. Als Rahmen dient das vom historischen Soziologen Charles Tilly u.a. entwickelte Konzept der „contentious politics“, das unterschiedliche Formen des Protests, der kollektiven Aktion und der politischen Gewalt „von unten“ umfasst und dabei auf eine wesentliches Merkmal verweist: Ökonomischer und sozialer Protest ist immer auch politisch.
Im Einzelnen behandelt werden Phänomene wie Hunger- und Teuerungsunruhen, Maschinenstürmer und "bargaining by riots", Revolutionen, Konsumentenproteste und Streiks bis hin zu den Protest- und Gewaltakten der Anarchisten. Neben diesen Formen des Protests gegen Reiche und Mächtige – tendenziell „emanzipatorisch“ und damit eher positiv besetzt – werden aber auch populäre Gewaltaktionen gegen angebliche Feinde der etablierten Ordnung, der Monarchie, Kirche oder Nation und Ausgrenzungsgewalt gegen „Fremde“, ethnische oder religiöse Minderheiten betrachtet. Im Zentrum stehen dabei die Entwicklungen in Frankreich, England, Deutschland, Italien und Spanien.

Sprachnachweise können erbracht werden in Englisch, Französisch, Italienisch und
Spanisch.


Einführende Literatur:

  • Manfred Gailus: Was macht eigentlich die historische Protestforschung? Rückblicke, Resümee, Perspektiven, in: Mitteilungsblatt des Instituts für soziale Bewegungen 34 (2005), S. 127-154.
  • Wolfgang J. Mommsen/Gerhard Hirschfeld (Hg.): Sozialprotest, Gewalt, Terror. Gewaltanwendung durch politische und gesellschaftliche Randgruppen im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1982.
  • Charles Tilly: The Politics of Collective Violence, Cambridge/New York 2003.
  • Charles Tilly: Social Movements, 1768-2004, Boulder, CO. 2004.
  • Charles Tilly/Sidney Tarrow: Contentious Politics, Boulder, CO. 2007.
  • Louise A. Tilly: Social Protests, History of, in: Neil J. Smelser/Paul B. Baltes (Hg.), International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences (IESBS), Amsterdamvu.a. 2001, Bd. 21, S. 14397-14402.