Oberseminar: Historische Gewaltforschung

Mo 16-18 Uhr, Raum: GABF 04/354, Beginn: 02.04.2012, Dozent: Jun.-Prof. Dr. Fabian Lemmes

Gewalt ist in der Geschichte allgegenwärtig, ganz gleich, ob wir uns ihr aus sozial-, politik-, kultur-, militär-, alltags- oder geschlechtergeschichtlicher Perspektive nähern. Formen kollektiver und individueller Gewalt begegnen uns nicht nur im Kontext von Krieg und Bürgerkrieg, sondern auch als Teil gesellschaftlicher Alltagssituationen und bei innergesellschaftlichen Konflikten. Gewaltsames Handeln kann „von unten“ oder „von oben“ ausgehen, als Mittel politischen und sozialen Protests, aber auch als Instrument zur Herrschaftssicherung, zur Durchsetzung von Norm und Gesetz, zur Stabilisierung sozialer Hierarchien oder als ritualisierte Form der Konfliktaustragung in lokalen Gemeinschaften auftreten. Zugleich ist Gewalt stets Gegenstand von Legitimierungsdiskursen in sozialen und politischen Auseinandersetzungen und kann von Akteuren als kriminell, politisch oder pathologisch, als legitim oder illegitim aufgefasst werden. Definition, Ausmaß, Formen, Bedeutung und Akzeptanz von Gewalt variieren dabei nicht nur zwischen Gesellschaften, sondern sind historischem Wandel unterworfen. Dem wollen wir gemeinsam auf den Grund gehen und dabei fragen, wie sich unterschiedliche Formen von Gewalt beschreiben, verstehen, erklären und historisch untersuchen lassen.
Ziel des Oberseminars ist es, klassische und neuere Ansätze zur Erforschung kollektiver und individueller Gewalt vorzustellen und ihre Umsetzung anhand von Beispielen aus der europäischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts zu diskutieren. Dabei sollen die Studierenden mit zentralen Themen und Fragestellungen der historischen Gewaltforschung ebenso wie mit Theorieangeboten der Nachbardisziplinen vertraut gemacht werden. Im Einzelnen behandelt werden Phänomene wie kollektiver Protest und soziale Bewegungen, Revolution, die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols, Polizei- und Strafgewalt, Terrorismus und staatlicher Terror, Bürgerkrieg, Vertreibung und Genozid, Pogrom und Lynchjustiz, Banditismus und organisierte Kriminalität, Gewalt in Haushalt und Nachbarschaft.

Sprachnachweise können erbracht werden in Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch.


Einführende Literatur:

  • Dirk Schumann: Gewalt als Grenzüberschreitung. Überlegungen zur Sozialgeschichte der Gewalt im 19. und 20. Jahrhundert, in: Archiv für Sozialgeschichte 37 (1997), S. 366-386.
  • Jörg Baberowski: Gewalt verstehen, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 5 (2008) H. 1, URL: http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Baberowski-1-2008.
  • Friedrich Jaeger: Der Mensch und die Gewalt. Perspektiven der historischen Forschung, ders./Jürgen Straub (Hg.), Was ist der Mensch, was Geschichte? Annäherungen an eine kulturwissenschaftliche Anthropologie, Bielefeld 2005, S. 301-324.
  • Thomas Lindenberger, Alf Lüdtke (Hg.): Physische Gewalt. Studien zur Geschichte der Neuzeit, Frankfurt a.M. 1995.
  • Wolfgang J. Mommsen, Gerhard Hirschfeld (Hg.): Sozialprotest, Gewalt, Terror. Gewaltanwendung durch politische und gesellschaftliche Randgruppen im 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart 1982.
  • Trutz von Trotha: Violence, in: The Blackwell encyclopedia of sociology, Bd. 10, Malden, Mass 2007, S. 5193–5199.
  • Charles Tilly: The politics of collective violence, Cambridge 2003 (Neudr. 2008).
  • Donald Bloxham, Robert Gerwarth (Hg.): Political violence in twentieth-century Europe, Cambridge 2011.